Alte Gemüsesorten nutzen
Seit zehntausend Jahren sind Bauern und Gärtner auch Pflanzenzüchter. Die Ernährung der Menschen wurde über lokal angepasste, vielfältige Nutzpflanzensorten gesichert. Dies geschah vor allem in der Zucht durch Auslese und Pflege im Anbau. Traditionell wurde dieses Wissen von den Eltern an die Kinder weitergegeben. Deshalb waren Obst und Gemüse etwas Lebendiges, dass sich immer weiter entwickelte.
Auch in Franken ernährten sich die Familien der Bauern und Handwerker einst von den Züchtungen von den eigenen Höfen und Hausgärten. In typischen Gartenbauregionen um Würzburg, Kitzingen, Schweinfurt und Bamberg entwickelten viele Gärtner ihre eigenen Sorten mit ihrem jeweils eigenem Geschmack. Von wirtschaftlichem Vorteil waren frühzeitige Ernten und gute Lagerfähigkeit.
Dank der Züchtungen einzelner Gärtner sind etliche lokale Gemüsesorten bis heute erhalten geblieben. Zum Beispiel die Salatkartoffel Bamberger Hörnchen oder der Bamberger Wirsing als frühes, mild schmeckendes Gemüse. Vom fränkischen Sauerkraut, dem so genannten Herbstkraut, werden vielfältige Hofsorten und Varianten speziell zur Sauerkrautherstellung in Unterpleichfeld kultiviert. Sogar das Würzburger Radieschen ist noch als lokale Sorte zu haben. Einheimische züchten die Tomate Frankenstolz oder die Klassische aus Theilheim, die sich besonders im Salat eignet. Auch die Bohnen Bamberger Blaue und Sofies bunte Türken finden sich noch in einigen Gärten. Auf regionalen Saatgut-Veranstaltungen ist ihr Saatgut noch zu haben.
Heute schwindet die Vielfalt an Obst-, Gemüse- und Getreidesorten zusehends. Unter dem Vorwand, den Verbraucher schützen zu wollen, lässt das Gesetz nur wenige Unternehmen am Markt teilhaben. So besitzen drei bis vier große Saatgutkonzerne weltweit über 70 Prozent Marktanteil am Saatgut. Sie produzieren konforme Produkte in genormten Größen für Discounter und Supermärkte. Und sie bestimmen, was gegessen wird.
So muss, um eine amtliche Zulassung zu erhalten, eine Pflanze genauso aussehen wie die Nachbarpflanze und von allen anderen Sorten unterscheidbar sein. Um in die Sortenliste aufgenommen zu werden, muss sie homogen und über mehrere Generationen hinweg stabil, schnell zu ernten und lange lagerfähig sein. Was nicht der Norm entspricht, wird aussortiert, bestenfalls zu Tierfutter verarbeitet. Aspekte wie Geschmack und Anpassungsfähigkeit sind kaum von Bedeutung.
Die Zulassungskriterien werden von Industrie bzw. Handel aufgestellt. Damit einher geht die Monopolisierung in der Pflanzenzüchtung. So gehören dem europäischen Marktführer Europlant allein in Deutschland mehr als 60 Prozent aller Kartoffelsorten. Doch nur die allerwenigsten der rund alten 10.000 Kultursorten können diese Kriterien erfüllen1. Die meisten Gemüsesorten, die aus bäuerlicher Züchtung hervorgehen, werden in der Prüfung abgelehnt. Dementsprechend sind die alten Gemüsesorten aus den Supermärkten weitgehend verschwunden.
Im Fokus der Saatgutkonzerne steht die Züchtung von Hybridpflanzen, denn diese bringen große Mengen an einheitlichen Früchten hervor und genügen damit den Anforderungen des Marktes.
Hybride entstehen aus der Kreuzung zweier Inzuchtlinien, in denen alle positiven Eigenschaften der Elternlinien, was Farbe und Form angeht, vereint sind. Doch im Nachbau spaltet sich das Erbgut auf, die Nachkommen degenerieren, die gewünschten Eigenschaften gehen verloren. Zudem sind sie häufig anfällig gegenüber Krankheiten und Schädlingen.
In der Natur aber wachsen keine normierten Pflanzen. Oft unterscheiden sie sich sogar innerhalb einer gezüchteten Sorte in Wuchshöhe, Form und Fruchtgröße. Zwar wird das Saatgut alter Sorten in wenigen Genbanken aufgehoben, zu denen nur wenige Menschen Zugang haben. Doch damit eine Sorte erhalten bleibt, muss sie im Garten, auf dem Acker wachsen und vermehrt werden, weil sie sich nur so den sich ändernden Umwelt anpassen.
Nach Angaben der UNESCO verschwanden innerhalb der letzen 100 Jahre rund 75 Prozent aller Kultursorten weltweit2. Der Verlust der genetischen Vielfalt ist nicht nur ethisch zu bedauern, sondern gefährdet auch unsere Ernährungssicherheit. Für die verbleibenden wenigen Kulturpflanzensorten steigt die Anfälligkeit gegenüber Viren, Krankheiten und Schädlingen.
Die Frage, was wir essen, ist hoch aktuell wie nie zuvor und wird künftig immer wichtiger. Theoretisch könnten sich alle Menschen auf der ganzen Welt gesund und ausreichend ernähren - nicht von einheitlichem Industriesaatgut, sondern von lokalen, an das jeweilige Klima angepasste Getreide-, Gemüse- und Obstsorten. Dieses kann nur von Kleinbauern und Gärtnern züchterisch erhalten und weitergeben werden. Bis heute dient ein Vielzahl an regionalen Salat-, Gemüse- und Kräutersorten der Ernährungssouveränität der fränkischen Region. Damit das so bleibt, muss das Wissen um Saatgut, Züchtung und Anbau weitergegeben werden. Dazu will dieses Heft einen Beitrag leisten.
Susanne Aigner / biosicht.de